Die Vorratsdatenspeicherung ist und bleibt nutzlos zur Verhinderung und Verfolgung schwerer Straftaten. Der Ruf nach ihrer Einführung nährt ein trügerisches Sicherheitsempfinden und hat sich als folgenschwerer Irrtum erwiesen.

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Vorratsdatenspeicherung (VDS). Deutsche Innenpolitiker, Regierungskoalition und EU-Kommission klammern sich ebenso vehement wie hilflos an das Konzept einer anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten, als handele es sich dabei um ein Patentrezept zur Bekämpfung von schweren Straftaten und Terrorismus. Dass sie in ihrer hartnäckigen Ignoranz höchstrichterlicher Rechtsprechung und ihrem Sicherheitsfanatismus selbst vor der Instrumentalisierung der Opfer solch schrecklicher Vorfälle wie in Paris oder jüngst in Kopenhagen nicht zurückschrecken, haben sie in den vergangenen Wochen leidvoll unter Beweis gestellt.

Gerade einmal je einen Tag hat es nach den islamistischen Anschlägen von Paris und Kopenhagen gedauert, bis die altbekannten Forderungen nach Einführung der VDS aus der Mottenkiste geholt wurden. Dass Frankreich bereits seit Jahren über dieses Instrument und weitere Überwachungsmaßnahmen wie etwa die Videoüberwachung öffentlicher Plätze verfügt, irritiert die Befürworter der anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten dabei keineswegs. Ebenso wenig stoßen sie sich an der Tatsache, dass die Täter von Paris und Kopenhagen den Sicherheitsbehörden bereits vor den Attentaten bekannt waren. Damit reihen sich die Geschehnisse von Paris und Kopenhagen nahtlos in die Abfolge anderer terroristischer Verbrechen, etwa in Boston oder Mumbai, ein. Gemein ist all diesen Fällen, dass sich die späteren Täter bereits im Vorfeld auf dem Radar der Sicherheitsbehörden befanden, und die Anschläge gleichwohl nicht verhindert wurden.

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Ein wesentlicher Teil des lange propagierten Narrativs pro VDS erweist sich damit als offensichtlich falsch und nicht tragfähig. Prompt verschwindet nun die Behauptung, die VDS trage zur Verhinderung von terroristischen Akten und schweren Straftaten bei, aus den Forderungen von Sicherheitsbehörden und Politik. Stattdessen beschränkt man sich jetzt auf die ebenfalls seit Jahren vorgebrachte, aber nicht weniger falsche Behauptung, die VDS sei ein unerlässliches Werkzeug zur Aufklärung und Verfolgung solcher Verbrechen. Dass auch dies nicht stimmt, haben schon vor geraumer Zeit Studien des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht sowie des wissenschaftlichen Diensts des Bundestages ergeben. Danach hat sich die Aufklärungsquote in der Zeit, in der es in Deutschland die VDS gab, noch nicht einmal marginal verbessert.

Dieses Ergebnis verwundert wenig, denn die Idee, sämtliche Verbindungsdaten der elektronischen Kommunikation zu Strafverfolgungszwecken zu speichern, hat mittlerweile auch in technischer Hinsicht mächtig Staub angesetzt. Verbindungsdaten geben Auskunft über Zeitpunkt, Dauer und Teilnehmer von Kommunikationen, die über Telefon, SMS und E-Mail geführt werden. Waren SMS und E-Mail vor einigen Jahren noch sehr weit verbreitet, werden sie mittlerweile zunehmend von Messenger-Diensten wie Whatsapp, Facebook oder Skype verdrängt. Bei diesen neuen Alternativen fallen im Unterschied zu SMS und E-Mail keine VDS-spezifischen Verbindungsdaten mehr an. Es wäre lediglich erkennbar, dass sich eine Person mit dem Internet verbunden hat – welche Dienste sie dort verwendet und wen sie darüber erreicht hat, bliebe hingegen im Dunklen. Für Straftäter wäre es daher ein Leichtes, die Protokollierung ihres Kommunikationsverhaltens gezielt zu umgehen und die polizeiliche Ermittlungsarbeit somit Leere laufen zu lassen. Selbst wenn diese Informationen gespeichert würden, wäre der Strafverfolgung damit kaum gedient. Zu diesem Schluss gelangte Mitte 2013 das dänische Justizministerium, nachdem es die dortigen Erfahrungen aus fünf Jahren VDS ausgewertet hatte. In Dänemark gab es von 2007 bis 2014 eine besonders weitreichende Form der VDS, bei der im Rahmen des sogenannten „Session Logging“ auch die angewählten IP-Adressen gespeichert wurden. Dem Bericht zufolge waren die von den Providern gelieferten Daten für die Polizei vollkommen nutzlos. Folgerichtig kippte Dänemark das „Session Logging“ Mitte 2014.

So wenig es vor diesem Hintergrund nachvollziehbar ist, weiterhin die Einführung der VDS zu verlangen, so sehr nährt diese Forderung auch ein trügerisches Sicherheitsempfinden. Um Terroranschläge wirksam zu verhindern und Täter gar nicht erst zu Tätern werden zu lassen, wäre es weitaus sinnvoller, den sozialen und politischen Ursachen des religiös-fundamentalistischen Extremismus auf den Grund zu gehen und ihnen entgegen zu wirken. Nur auf diese Weise werden Attentate wie in Paris und Kopenhagen künftig zu verhindern sein. Eine gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen, wie es mit der anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten geschieht, wird hingegen nichts anderes bewirken als die schleichende Erosion der für eine offene Gesellschaft essentiellen Freiheitsrechte. Damit sich die VDS nicht weiterhin als folgenschwerer Irrtum erweist, ist ein Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik dringend vonnöten. Der sollte damit beginnen, jegliche Form der anlasslosen Datenspeicherung endlich zu begraben und das Gespenst der VDS aus Europa zu vertreiben.

Eine Meinung zu “Vorratsdatenspeicherung: Ein Gespenst geht um in Europa

  1. nk sagt:

    Hmm, die Phrase vom „Gespenst“ ist zwar catchy, ob der unvermeidliche Bezug zum „Kapital“ von Marx in der Diskussion hilfreich ist, um nicht als Spinnerecke betrachtet zu werden, bleibt fraglich.

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